Teneriffa bis Gomera
Freitag, 13. Oktober 2006Auf Gomera ist es so schön, dass wir gar nicht mehr zum Schreiben kommen. Es ist gerade dunkel geworden, mir wird das Treiben auf den Booten gegenüber doch ein bisschen zu eintönig (auf einem Boot wird seit 2 Stunden das Klo repariert, auf dem Nachbarschiff war die Besatzung (englisch, weiblich) inzwischen essen und dann duschen, habe im Moment das Gefühl, alles gesehen zu haben. Aber man kann nie wissen. Überraschungen hat es auf dieser Reise wirklich reichlich gegeben.
Am Mittwoch haben wir (noch auf Teneriffa) unseren geplanten Bus-Ausflug gemacht. So etwas ist erstmal mit Wartezeiten verbunden, mit denen wir in der Regel geduldig umgehen. Die erste Station war Los Cristianos nicht weit von unserem Hafen in San Miguel. Los Cristianos ist auch so ein Touri-Ort, hat aber noch einen echten kleinen Stadtkern. Nachdem wir eine Stunde am Busbahnhof vergeblich auf den Bus nach Puerto de la Cruz gewartet hatten (wir trauten uns nicht weg, weil wir dachten, dann kommt er bestimmt und fährt wieder ohne uns ab), liehen wir uns von einem englischen Pärchen den Fahrplan und stellten fest, dass wir noch gut Zeit hatten, uns ein bisschen mehr vom Ort anzugucken. Dadurch lernten wir also neue Baustellen in der Altstadt kennen, setzten uns auf einen Kaffee in eine Bar am Hafen und ließen den Strom der Touris an uns vorbei ziehen. Es ist einfach furchtbar, was man da zu sehen kriegt! Jens fand das komisch und war immer wieder versucht, seine Kamera zu zücken. Ich konnte an dem Tag überhaupt nicht darüber lachen und hatte nach 20 Minuten die Faxen dicke. Dicke Männer ohne T-Shirt, die ungeniert ihre Bäuche spazieren führten und dicke Frauen in knappen Tops. Die Spanier machten übrigens hierbei keine Ausnahme und das wunderte uns am meisten.
Der Bus brachte uns in 90 Minuten über die Autobahn in den Norden der Insel. Wir konnten unsere beiden Ankerplätze der letzten Tage noch einmal sehen, sonst war der erste Teil der Strecke nicht sehr interessant. Aber dann die Nordküste: sehr grün, viele Bananenplantagen, hübsche Orte. Puerto de la Cruz hat uns gleich gut gefallen. Natürlich gingen wir erstmal zum Hafen. In einer sehr einfachen Bar aßen wir Sardinen und Tintenfisch für wenig Geld und genossen die Umgebung, die von einheimischem Leben gekennzeichnet war. Auch hier gab es Touris, aber alle waren rücksichtsvoll im Benehmen und dezent in der Kleidung.
Nach einem Spaziergang fanden wir noch einen kleinen Park, in dem ich den ersten richtigen Drachenbaum sah und tranken einen Kaffee in einem Jugendstil-Cafe. D.h. ich ließ ihn stehen, das Wasser ist hier einfach zu gechlort.
Auf dem Rückweg machten wir in Los Cristianos Halt in einem Supermarkt. Er war vor allem super-teuer, aber wir glaubten, dass es auf Gomera (und erst recht auf den Kapverden) noch teurer sei und meinten, wir müssten hier einkaufen. Ein netter chilenischer Taxifahrer mit guten Italienischkenntnissen brachte uns zum Schiff und schleppte sogar das Mineralwasser an Bord, weil er so neugierig war und mal sehen wollte, wie es sich an Bord lebt.
Den Abend verbrachten wir in der Plicht unter Sternen. Hin und wieder schreckte uns das Geräusch eines großen Fisches hoch, der unter den Pontons jagte. Er gehörte offenbar da hin, wir kriegten ihn aber nie zu sehen. Unser Nachbar aus der Schweiz hat sogar versucht, ihn mit der Angel zu fangen, da hat sich der Fisch bestimmt totgelacht. Der Schweizer kam übrigens aus Genf und war mit seinem Sohn zu den Kapverden und dann nach Brasilien unterwegs. Er fand das völlig normal, dass ich nächste Woche wieder nach Hamburg ins Büro muss. Seine Frau macht das auch, c est classique, sagte er immer.
Donnerstag gings dann endlich los nach Gomera. Leider (ja, es tat mir wirklich leid!) konnten wir nicht segeln, sondern mussten die 25 Meilen unter Motor machen. Zum Ausgleich kriegten wir echte Wale zu sehen. Zwischen Teneriffa und Gomera lebt eine Population von ca. 250 standort-treuen Pilot-Walen. Wir sahen ein knappes Dutzend von ihnen und ich kann meine Gefühle angesichts dieses Natur-Erlebnisses nur schwer in Worte fassen, aber ich muss schon sagen: es war sehr ergreifend. Als ich im Kleinen Belt zum ersten Mal Schweinswale gesehen habe, kam es mir vor wie am 8. Schöpfungstag, aber dieses war noch stärker.
Bald wurden wir wieder in die heutige Zeit versetzt (und diesmal kamen Erinnerungen an den Großen Belt auf), denn wir machten die Bekanntschaft mit Fred.Olsen. Es handelt sich um einen norwegischen Reeder, der mit seinen großen Katamaranen die Gäste zwischen den Inseln hin und her fährt (auch ich habe vor, in einer Woche mit ihm nach Las Palmas zurück zu kehren). Diese blöde Fähre änderte prompt ihren Kurs, als Jens ihr ausweichen wollte. Dieses „Segler ärgern“ scheint ein beliebter Sport bei ungehobelten Katamaran-Steuermännern zu sein. Jens wurde sehr böse und ich sehr ängstlich. Leider war der letzte Teil der Reise sehr anstrengend und ich habe mir außerdem noch einen Sonnenbrand auf den Unterarmen (alles andere halte ich beim Segeln immer bedeckt) geholt, so dass ich ziemlich kaputt und mit Kopfweh auf Gomera ankam.
Ich freute mich schon auf das Anlegen wieder mit Personal, doch das lief zunächst nicht ganz so glatt wie in San Miguel. Wir verstanden nämlich die Sprache des Hafen-Angestellten nicht. Hier auf Gomera unterhält man sich auf weite Entfernungen mit „El Silbo“, einer Pfeifsprache, die angeblich einmalig auf der Welt ist. Wir hatten im Reiseführer darüber gelesen, auch, dass diese Sprache jetzt Pflichtfach in der Grundschule ist, damit sie nicht ausstirbt. Der Hafenmann benutzte sie, um uns in die richtige Box zu lotsen (es hört sich ein bisschen so an wie der Gesang eines Kanarienvogels). Da wir ihn nicht auf Anhieb verstanden, gurkten wir erst eine Weile durch die Marina, bevor wir den uns zu gedachten Platz fanden. Es ist eine schöne Marina mit sehr netter Frau im Hafenbüro, die uns gleich mit Info- und Karten-Material versorgte und die Bürokratie in Grenzen hielt. Den Anleger nahmen wir an Land, weil wir unbedingt etwas Kaltes trinken wollten. Nach einem frisch gepressten O-Saft und einer Flasche Wasser verschwanden meine Kopfschmerzen und ich hatte Lust, mir ein bisschen San Sebastian anzugucken. Es ist sooo ein hübscher Ort. Der Hafen ist nicht groß, aber sehr gut aufgeteilt, die beiden großen Fähren (Fred.Olsen und ARMAS) und die 200 kleinen Schiffe stören sich gegenseitig nicht. Direkt hinter der Plaza erheben sich hohe Felsen, die allerdings etwas begrünt sind und von farbenfrohen Häusern geschmückt.
Auf der Plaza und in den zwei Hauptstraßen spielt sich echtes Leben ab. Einheimische in den Bars und den Geschäften, Eltern, die ihre Neugeborenen stolz den Bekannten (jeder scheint hier jeden zu kennen) präsentieren, Kinder, die Fußball und Volleyball spielen, ein verwirrter Antonio, der von einer Schwester gehindert wird, aus dem Altersheim abzuhauen, ein paar Touristen, die sich anständig benehmen. Kurz, wir hatten sofort das Gefühl, hier sind wir richtig.
Am Freitag machten wir unseren ersten Bus-Ausflug nach Vallehermoso in den Norden der Insel. Meine Güte sind die Berge hoch! An jeder Ecke der serpentinen-reichen Straße tat sich ein neues grandioses Panorama auf, nur ich konnte leider kaum hingucken, sondern krallte mich immer fester an Jens Arm. Auf der Plaza in Vallehermoso trank ich meinen letzten Kaffee. Er schmeckt einfach scheußlich. Aber was wir zu sehen kriegten, gefiel mir durchaus: plaudernde Hausfrauen aller Altersgruppen, Müllmänner bei der Arbeit, spielende Kinder und palavernde Männer in den Bars. Wir saßen eine Weile dort, angesteckt von der Gelassenheit, die diese Menschen hier ausstrahlen. Irgendwann machten wir einen Spaziergang und dann wieder eine Pause in einer Bar, wo das Glas Mineralwasser 20 Cent kostete. Übrigens gibt es hier überall ganz anständige Toiletten, was unterwegs für mich immer besonders wichtig ist.
Auf dem Weg zum Bus kaufte ich Bananen und probierte sie gleich an der Bushaltestelle. Es gibt ein Foto davon: „West-Geli im Glück – meine erste Banane!“ Sie schmecken hier wirklich unvergleichlich gut. Gestern haben wir auf dem Markt in San Sebastian noch anderes Obst gekauft: Feigen, Mangos, Maracuja, alles von hier und einfach köstlich!
Da Jens ja ungern zweimal die gleiche Strecke fährt, nahmen wir für den Rückweg einen Bus in Richtung Westen. Die Straßen waren noch schlimmer. Um mich abzulenken, begann ich ein Gespräch mit einem irischen Wanderer. Er war vor vier Monaten Witwer geworden und versucht nun auf Gomera seine Spur wieder zu finden. Seine Nichte hatte ihn eingeladen und er probiert jetzt alles Mögliche aus, außer wandern noch arbeiten, was er schon lange nicht mehr gemacht hatte. Er erzählte uns, dass es auf ganz Gomera nur drei Postämter gibt und die alle drei um 12 Uhr schließen. Da er morgens wandert (oder arbeitet), wird er seine Karten nicht los und so haben wir ihm aus der Patsche geholfen, in dem wir seine Post mit in die Stadt nahmen. Während dieses Gesprächs waren wir auf der Höhe angekommen und fuhren durch die Ausläufer des Nationalparks, rechts und links bemooste Bäume, Lorbeer, Baumheide und was weiß ich. Sah alles ein bisschen gespenstisch aus, aber da es keine Abgründe gab, konnte ich wieder entspannt rausgucken.
In Chipude mussten wir umsteigen. Nur ein Platz mit einer von außen sehr hübschen, aber leider verschlossenen Kirche sowie einer Bar. Jens überredete mich zu einem Kaffee solo – das war nun wirklich der allerletzte auf dieser Insel. Inzwischen bin ich komplett auf Orangensaft umgestiegen und das schmeckt mir gut, zumal er immer frisch gepresst ist.
Freitagabend wollten wir eigentlich ausgehen. Wir haben uns richtig landfein gemacht und wollten gerade los, als es anfing, richtig zu regnen. Also haben wir an Bord gegessen und erst später einen Spaziergang gemacht, als der Himmel wieder klar war. Ich wollte mal auf die Mole gucken und da kam gerade Fred Olsen mit seinem Katamaran. Wir guckten dem Schiff beim Anlegen zu und den Passagieren beim Aussteigen. Der Gedanke, dass mich so ein Schiff von hier wegbringen wird, hat wenig Attraktives für mich. Aber zurück segeln wäre unsinnig, weil Jens ja in die Gegenrichtung weiter will.
Von der Mole hatten wir einen herrlichen Blick auf Teneriffa (von weitem sehr hübsch!) und außerdem fanden wir noch eine kleine Bucht, in der eine für mich bisher unbekannte Brandung gegen die Felsen donnerte. Lange standen wir dort und horchten auf die Geräusche, wisst Ihr z.B. wie das klingt, wenn beim Zurückweichen der Wellen die Steine aneinander gerieben werden?
Gestern haben wir in dieser Bucht gebadet. Sie hat auch einen Sandstrand (schwarz, wie die meisten Strände hier). Das Baden war wieder so ein besonderes Erlebnis für mich, ich bin ja leider keine sichere Schwimmerin und muss mich meistens überwinden, überhaupt ins Wasser zu gehen. Vor dieser Kulisse der sonnenbestrahlten und blumengeschmückten Felsen (mit Blick auf Teneriffa und den Teide) mich im warmen (24 Grad) Wasser zu wiegen, hat mir sehr gefallen. Leider hat sich Jens in der Brandung das Knie verdreht, als er mir helfen wollte. Heute ist es dick und tut ihm weh, hoffentlich ist es nichts Schlimmes.
Ihr seht, ich bin begeistert von dieser Insel. Als ich gestern morgen den Sonnenaufgang über Teneriffa anschaute, da habe ich zum ersten Mal gedacht, ich kann die (zumeist deutschen) Aussteiger verstehen, die sich hier niederlassen. Nur, was sollte ich hier machen? Landwirtschaft ist nicht so mein Ding (vor allem nicht bei der Wärme) und der Bedarf an selbst gestrickten Strümpfen wird hier auch nicht besonders groß sein, auch wenn Jens meint, die Wanderer können gut sitzende Strümpfe immer gebrauchen. Na ja und dann sind ja die Berge eine wirklich fremde Welt für mich und wenn ich mir vorstelle, dass ich, um aus San Sebastian weg zu kommen nur die Wahl habe zwischen gefährlichen Bergstraßen und Fred Olsen (die Daddeldu wird ja nächste Woche nicht mehr hier sein), … also dann komme ich doch lieber zurück nach Hamburg.
Nun sind wir schon fast eine Woche auf La Gomera und genießen unseren Urlaub. Ungefähr alle zwei Tage machen wir einen Ausflug, die übrigen Tage bleiben wir in San Sebastian. Da San Sebastian der einzige Hafen mit einer Marina auf der Insel ist, haben wir beschlossen, die übrigen Orte per Bus aufzusuchen, weil es wohl keine richtig geschützte Ankerbucht gibt. Als wir gestern in Valle Gran Rey waren und uns den kleinen Hafen von Vueltas anguckten, wo die Boote im Atlantik-Schwell auf und ab schaukelten, war ich doppelt froh, hier so einen ruhigen Platz zu haben. An sich habe ich nichts gegen das Ankern, im Gegenteil, ich genieße es, in einer ruhigen Bucht mit hübscher Kulisse vor Anker zu liegen und meine Ruhe zu haben. Wenn ich aber an Land möchte, ziehe ich unbedingt eine Marina mit Stegen vor. Dann kann ich an Land, wann ich will und ohne mir im Dinghy einen nassen Hintern zu holen.
Letzteres kann einem allerdings auch an Land passieren. In Valle Gran Rey ist die Brandung noch höher, als ich es bisher gesehen hatte. Ich verzichtete aufs Baden, weil ich zu recht annahm, dass Jens mit sich genug zu tun haben würde. Jens suchte sich also einen Platz auf den Steinen zum Ausziehen. Gerade hatte ich meine Sandalen ausgezogen und sie knapp unter seine Sachen gelegt, da kam eine Welle und überspülte sie. Also höher legen, in der Sonne trocknen sie ja schnell. Während Jens badete, stand ich unmittelbar am Rand dieser Steinböschung. Meine Füße wurden häufig überspült, hin und wieder musste ich mein Kleid raffen, weil das Wasser bis zu den Knien kam. Irgendwann nützte auch das nichts mehr und ich wurde bis zum Po nass – ein fieses Gefühl, zumal ich nichts zum Umziehen mit hatte.
Um das Thema abzuschließen, hier ein Auszug aus dem „Valle Boten“ (Von Vueltas bis zu den Lofoten – liest alle Welt den Valle-Boten!), der auf der Insel von einem Alt-Hippie herausgegeben wird:
85% aller Frauen finden ihren Arsch zu dick
10% aller Frauen finden ihren Arsch zu dünn
5% aller Frauen finden ihren Arsch gerade richtig
(und sind froh, ihn geheiratet zu haben).
Spaß beiseite. Gestern in Valle Gran Rey (der Name geht auf den großen König der Ureinwohner zurück) trafen wir gestern einen Mann aus Köln (Deutsche gibt’s hier wie Sand am Meer), der bedauerte, dass es auf diesen Inseln kein richtig schönes Hotel für „gehobene Ansprüche“ gibt, wo abends was los ist. Wir wiesen ihn darauf hin, dass auf der Plaza in San Sebastian bisher jeden Abend was los war, auch als wir schon lange in der Koje lagen. Ja, aber das sind ja nur Spanier! – Habt Ihr noch Worte?
Ich habe auch nach sechs Tagen San Sebastian immer noch das Gefühl, jedes Mal etwas Besonderes zu sehen, wenn ich von Bord gehe. Z.B.
* die roten Krebse, die wir seit gestern auf den Felsen ein paar Meter von unserem Liegeplatz beobachten und die in der Sonne leuchten, als seien sie schon gekocht, die aber zum Glück noch quicklebendig sind
* die gigantischen Lorbeerbäume auf der Plaza, die wunderbar Schatten spenden
* die Sonnenaufgänge über Teneriffa und die grandiose Brandung, die mein Herz mit Lobliedern erfüllen
* die fröhlichen Gesänge im Gottesdienst, gesungen von Frauen, die alle älter sind als wir, begleitet von Gitarren und Rumbanüssen, so dass man gleich mitschwingt (das war übrigens in der Kirche, in der Kolumbus seine letzte Messe besuchte, bevor er über den Atlantik aufbrach)
* die zwei knackigen Kerle (Holländer), die doch tatsächlich im Ruderboot über den Atlantik wollen
* die fröhlichen, lebhaften Frauen mit den lauten Stimmen, die so virtuos den Fächer handhaben
* das Lager für afrikanische Flüchtlinge, dass hoch in den Bergen über San Sebastian aufgebaut ist
* der Trauerzug für einen verstorbenen Polizisten, den wir heute auf dem Weg zu oben erwähnter Kirche sahen. Die Witwe wurde von einem Kollegen liebevoll gestützt. Sie war kaum älter als Simone und es kann nicht sehr lange her gewesen sein, dass sie diesen Weg zum Traualtar gegangen ist. Es zerriss uns das Herz.
(Text von Angelika)